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Peter Schlör im Gespräch mit Ralf Hanselle

RALF HANSELLE: Herr Schlör, Kunstkritiker machen es sich gerne einfach. Ähnliches wird mit Ähnlichem verglichen. Und Parallelen führen zu Schubladen, Schulen und Etiketten. Ihr Werk etwa hat man in der Vergangenheit gerne mit der „Subjektiven Fotografie“ der 1950er Jahre verglichen. Sehen Sie da Parallelen?

PETER SCHLÖR: Ich selbst würde das nicht so sehen; auch wenn es in meinen Arbeiten sicherlich einen subjektiven Ansatz gibt. Mich treibt der abstrakte Charakter einer Fotografie um. Wie die „Subjektive Fotografie“ denke ich, dass man ein Bild zunächst einmal als Komposition begreifen muss. Man sollte sich vom Gegenstand lösen. Erst dann beginnt das wahre Sehen. So gesehen sind meine Fotografien sicherlich nicht mit dem zu vergleichen, was in den letzten Jahrzehnten in der Fotokunst Konjunktur gehabt hat.

Geht es um die Lösung vom Gegenstand oder um dessen Transformation – um eine magische Verwandlung, wie man sie etwa im Schaffen von Robert Häusser beobachten konnte?

In der Anfangszeit habe ich mich intensiv mit Robert Häusser beschäftigt. Ich habe ihn auch persönlich getroffen. Vom Ansatz her habe ich da in jenen Jahren durchaus Parallelen gesehen. Mittlerweile aber denke ich, dass ich ganz woanders zu verorten bin. Mit Magie haben meine Arbeiten nichts zu tun. Es geht mir nicht darum, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Im Gegenteil: mein Anliegen ist es, das Sichtbare sichtbarer zu machen. Ich will auf meinen Bildern Dinge zur Darstellung bringen, die jedermann sehen kann. Zumindest jedermann, der für differenziertes Licht sensibel ist.

Gemein mit Häusser ist Ihnen dennoch das äußerst kontrastreiche „Zeichnen“ mit den Mitteln der Schwarzweiß-Fotografie. Hat Sie Farbe nie interessiert?

Mich interessiert das ungeschminkte Licht. Ein Licht ohne MakeUp. Das kann man in Schwarzweiß viel besser herausarbeiten als mit Farbe. In dem Punkt bin ich in der Tat bei Robert Häusser, der einmal gesagt hat, dass ihm „die Farbe zu geschwätzig“ sei. Das finde ich sehr treffend.

Sie sprachen vorhin über das „wahre Sehen“ und die Abstraktion. Dennoch bleibt die Fotografie zunächst immer an reale Orte gebunden. Das gilt auch für Ihre Bilder. Da gibt es etwa eine Serie, auf der Sie Bauruinen auf dem Sinai fotografiert haben. Welche Bedeutung hat in dieser Serie der Sinai als ein konkreter geographischer Topos?

Peter Schlör: Sinai IV, 2001

Die Sinai-Reihe ist die einzige, die ich vom Titel her derart eindeutig verortet habe. Dass liegt vielleicht daran, dass ich Anfang der 1980er Jahre auf dem Sinai meine Liebe für die Fotografie entdeckt habe. Es wurde auch oft vermutet, dass diese Serie einen politischen Hintergrund haben könnte. Solche Spekulationen kann und darf man durchaus anstellen. Aber wie gesagt: diese Reihe ist eine Ausnahme. Man kann die Titel meiner Arbeiten für gewöhnlich kaum verorten. Ich bin kein Reisefotograf. Der Ort spielt für mich eine untergeordnete Rolle.

Dennoch stehen Sie in der Tradition von Landschaftsdarstellungen. Nach welchen Kriterien also wählen Sie diese Landschaften aus?

Eine sehr große Rolle spielt das Licht. In den Anfangsjahren habe ich fast ausschließlich mit ganz hartem Licht gearbeitet. Das Liebste war mir, mit der tiefstehenden Sonne in eine Landschaft zu schauen. Es ging also um ein Sonnenlicht, das kaum zu beherrschen war. Es war in diesen Jahren nicht einfach, die passende Belichtung zu finden. Doch mein Verständnis von Licht hat sich gewandelt. Das begann im Jahr 2008 während einer Reise auf die Kanaren. Auf La Palma bin ich durch eine Schule des Sehens gegangen. Ich habe gelernt, mehr und mehr das Licht in all seinen Nuancen wahrzunehmen. Und erst da ist mir im wahrsten Wortsinn ein Licht aufgegangen. Mir ist klar geworden, was für ein enorm differenziertes Licht auf den höheren Inseln der Kanaren herrscht – dort, wo die Wolken sich stauen und das Wasser kondensiert. Dort ist ein ständiges Kommen und Gehen der Wolken zu beobachten. Ein einzigartiges Licht-Schauspiel.

Peter Schlör: El Pilar, 2008 (La Palma)

Lassen Sie uns, bevor wir uns gänzlich dem Licht widmen, nochmal einen Schritt zurück zur Landschaft gehen. Mir ist aufgefallen, dass Ihre Landschaften oftmals eine barocke Note haben. In diesen Landschaften finden sich immer wieder Verwüstungen oder zerstörte Orte. Es geht um das, was man im Barock den „locus desertus“ genannt hätte.

Mich haben immer schon Archetypen interessiert – ganz egal ob es das Meer ist, der Baum, der Fluss, die Wüste oder der Berg. Man könnte diese Reihe schier endlos fortsetzen. Ein ganz wichtiges Thema ist auch das Haus – das Haus als ein Rückzugsort, aber auch als Ort der Isolation. Diese Ur-Bilder durchziehen mein ganzes Schaffen. Es geht um Dinge, die für Menschen schon immer relevant waren. Vornehmlich nehme ich für deren Darstellung erhöhte Standpunkte ein. Ich trete der Landschaft also in gewisser Weise gegenüber – etwas, was die Menschen ebenfalls schon seit Jahrtausenden getan haben.

Auch Licht und Dunkel, die Kernthemen ihrer Arbeit, sind ja in gewisser Weise Archetypen.

Ja, schwarz ist vermutlich der älteste Archetyp überhaupt. Das ist die Finsternis der Genesis.

Schwarz ist der Nullpunkt der Schöpfung, zugleich ist es aber auch der Endpunkt; denken Sie nur an Ad Reinhardts „Last Paintings“. Schwarz ist hier in gewisser Weise die Apokalypse. Woher kommt Ihre persönliche Faszination für diese „Farbe“?

Schwarz ist ein Assoziationsraum. Im Schwarz ist alles. Und aus dem Schwarz kommt alles. Für mich ist schwarz also gar nicht so negativ besetzt, wie das in unserer Kultur üblich ist. Schwarz wird hier ja meistens mit Finsternis und Tod assoziiert. Aber für mich ist Schwarz mehr. Manchmal stelle ich mir vor, ich wäre ein Maler und müsste zu Beginn des Malens auf eine weiße Leinwand schauen. Mir würde dabei nichts einfallen. Das tiefe Schwarz indes ist der tiefste Assoziationsraum überhaupt.

Ohne dieses Schwarz könnte die Fotografie als Lichtmalerei vermutlich gar nicht zur Wirkung kommen.

Genau. In einem vollkommen schwarzen Raum ohne jegliche schwebende Partikel kann das Licht nicht wirken. Das Licht wird nur sichtbar, in dem es auf Gegenstände trifft. Die Erscheinung eines jeden Gegenstands ist vom Licht abhängig.

Reden wir also über dieses Licht. Die Wochenzeitung DIE ZEIT hat einmal geschrieben, auf Ihren Bildern wirkten „Scheinwerfer aus dem Himmel“. Wie lange warten Sie in der Regel auf dieses himmlische Scheinwerferlicht?

Das Beste ist, man wartet gar nicht. Ich empfinde meine Arbeit jedenfalls nicht als Warten. Das ist eher eine Art von „in der Welt sein“. Ich trete der Welt gegenüber und schaue. Ich erwarte nichts. Je mehr ich auf einen bestimmten „Scheinwerfer“ warte, desto weniger wird der sich zeigen. Stattdessen kommt vielleicht etwas Anderes. Ich will nichts festhalten. Ich will eher loslassen. Und in diesem Loslassen wird man beschenkt. Plötzlich öffnet sich der Himmel und es kommt eine besondere Erleuchtung. Und in dem Moment bin ich da. Das ist das Interessante an den Kanarischen Inseln. Ohne dass man sich selber viel bewegen muss, kann man einen guten Standort finden. Von dort schaut man dem Spiel des Lichts einfach zu.

Sie haben das gerade als ein Geschenk beschrieben. Das meiner Meinung nach schönste Geschenk findet man auf dem Bild „La Solana“ aus dem Jahr 2012. Hier fällt das Sonnenlicht in einzelnen „Spotlights“ auf verschiedenste Landschaftsmarkierungen.

Peter Schlör: La Solana, 2012

Das ist auch für mich das wichtigste Bild aus der aktuellen Reihe „Light Shift“. „La Solana“ wollte ich ursprünglich auf das Cover des Buches bringen. Das Interessante an dem Bild ist, dass es praktisch in jeder Größe funktioniert. Das Licht bewirkt in diesem Bild einen derart hohen Abstraktionsgrad, dass man von Weitem gar nicht so genau sagen kann, was auf dem Bild zu sehen ist. Man denkt vielleicht an eine asiatische Zeichnung, vielleicht auch an einen Bachlauf. Erst wenn man nah vor dem Bild steht, sieht man die eher profan anmutende Architektur in einer recht gewöhnlichen südlichen Landschaft. Ich finde, das Bild ist ein hervorragendes Beispiel für meine These, dass es nahezu unerheblich ist, was auf einem Foto abgebildet ist. Viel wichtiger ist, wie das Licht den Gegenstand formt und verwandelt.

Sie haben mal gesagt, dass neben den Kanaren die Flämische Landschaftsmalerei ein wichtiger Lehrmeister im Umgang mit Licht gewesen sei. Was haben Sie von den Alten Meistern gelernt?

Nachdem ich diese Lichtphänomene auf den Kanaren beobachtet hatte, war ich einige Monate später im Louvre und habe dort die Niederländer – besonders Jacob van Ruisdael – intensiv betrachtet. Und da ist mir aufgefallen, wie sehr diese Maler im 17. Jahrhundert ein Licht gemalt haben, wie ich es zuvor selbst auf den Kanaren empfinden und sehen konnte. Auch die Niederländer haben ein sehr differenziertes Licht aufgenommen und in ihre Landschaftsbilder übertragen. Diese Parallele fand ich so spannend, dass ich mir seither lieber Alte Meister denn moderne Fotografie anschaue.

Jacob Isaacksz. van Ruisdael, Wheat Fields, c. 1670, Metropolitan Museum of Art, New York

Das hat schon etwas Merkwürdiges: Da reden wir seit 175 Jahren von einer sogenannten Lichtmalerei, und dennoch versteht es diese Technik nicht, ihr Medium auf angebrachte Weise zum Sujet zu machen.

In der Tat. Mittlerweile ist die Kameraentwicklung an einem Punkt angelangt, an dem die Sensortechnik enorm differenziertes Licht aufzeichnen kann. Und dennoch wird das nur wenig genutzt. Die Fotografen orientieren sich lieber am Gegenstand und ordnen diesem das Licht unter.

Woran liegt das?

Es fehlen vielleicht die Impulse aus der Malerei selbst. Die Maler nutzen heute kaum noch Skizzenblöcke. Welcher Maler sitzt heute schon noch in einer Landschaft und macht seine Aufnahmen ohne die Hilfe von einer Kamera? Viele sitzen erst gar nicht mehr in der Landschaft und malen gleich vom Foto ab. Ich als Fotograf indes weiß sehr genau, wie wenig in einer solchen Fotografie steckt. Ich weiß, dass das, was ich vor Ort mit meinen Sinnen wahrnehmen kann, mit einer fotografischen Aufnahme nur bedingt vergleichbar ist. Man überschätzt die Fotografie in ihren Möglichkeiten. Das, was ich als Mensch an Licht aufnehmen kann, ist viel mehr. Die Alten Maler haben das noch gewusst und in faszinierender Weise umgesetzt. Doch dieses Wissen ist mit der Erfindung der Fotografie weitgehend verloren gegangen.

Interview für
PROFIFOTO
(Ausgabe 04/15)

© Ralf Hanselle
und Peter Schlör
Berlin/Mannheim im Januar 2015