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Peter Schlör im Gespräch mit Marc Peschke

Marc Peschke: Herr Schlör, Ihre fotografischen Arbeiten zeigen eigentlich nichts Ungewöhnliches. Ihre Sujets sind bekannt. Dennoch gelingt es Ihnen, das Bekannte neu aussehen zu lassen. Das klingt einfach, doch scheint mir dieser Ansatz fundamental anders zu sein, als bei dem Gros der aktuellen Fotokunst.

Peter Schlör: Ich gehe von Beginn an – seit Mitte der 80er – einen eigenen Weg, der im Vergleich zur aktuellen Fotokunst damals wie heute doch eher unzeitgemäß erscheint. Mich faszinieren Bilder, die auf eine – auch für mich – unerklärliche Weise tief und unergründlich sind und den Betrachter ins Wanken bringen. Tatsächlich ist dabei eher der Blick auf die Dinge entscheidend – und weniger die Dinge selbst. Wenn ich mit der Kamera unterwegs bin, ist es immer der Widerhall innerer Bilder, der meinen Blick auf ein bestimmtes Sujet oder eine bestimmte Lichtsituation lenkt. Ohne die Dinge zu benennen oder zu bewerten schaue ich einfach nur. Manchmal halte ich inne und mache ein Bild – die Motivation für eine solche Aufnahme wird mir meist erst später bewusst. Diese Intuition ernst zu nehmen und in Bilder umzusetzen ist die eigentliche Herausforderung. Das Finden von Bildern gleicht demnach also eher einem Erinnern. Mit Motivsuche im klassischen Sinn hat das wenig zu tun, ebenso wenig mit der Suche nach passenden Bildern für ein Kunstprojekt. Ich verfolge auch keine Projekte und weiß auch nie was ich auf meinen Streifzügen finden werde – weil ich ja nichts suche. In der aktuellen Fotokunst sind Intuition kaum gefragt – entsprechend unterscheiden sich wohl auch die Ergebnisse. Wobei mir diese Unterscheidung unwichtig erscheint. Wichtig ist mir, dass ich authentisch arbeite, dass mein Werk und ich quasi identisch sind. Ich glaube, es gibt mittlerweile eine enorme Sehnsucht nach Bildern, die ohne Hintergrundwissen erfahrbar sind. Bilder, die unmittelbar mit dem Betrachter in Beziehung treten.

Marc Peschke: Archetypen, Urbilder, das Verdrängte, das Unbewusste, das Traumhafte, Mythische, Geheimnisvolle – Ihr Werk wurde oft in Kategorien gefasst, mit der man auch die surrealistische Fotografie zu fassen suchte. Sehen Sie sich in dieser Tradition?

Peter Schlör: Da gibt es sicherlich einige Ansätze – die Malerei finde ich allerdings noch spannender – vor allem de Chirico faszinierte mich von Kind an. Überhaupt finde ich für meine Arbeit eher Anregungen aus anderen Epochen und Genres. Am wenigsten finde ich sie in der aktuellen Fotografie. Mythologie und Symbolik sind leider in der aktuellen Kunst auch nicht sehr gefragt – vielleicht ein weiterer Grund, warum sich meine Bilder vom aktuellen Trend unterscheiden.

Marc Peschke: Das Dunkle ist in fast allen Ihren Bildern. Das Tiefschwarze. Was bedeutet diese Farbe – wenn man Schwarz eine Farbe nennen will – für Sie?

Peter Schlör: Das Schwarz in meinen Bildern steht für den Raum an sich: den unendlichen Außenraum, den hermetischen Innenraum, die bodenlose Tiefe. Ein Raum, der so weit und tief ist, dass kein Licht aus ihm je zurückkehrt. Das Schwarz kann Ängste auslösen aber auch faszinieren: Die Angst, zu fallen und sich in der Dunkelheit zu verlieren, verschluckt zu werden vom Abgrund des ganz und gar Unbekannten, gleichzeitig aber die Faszination des Unbekannten und Unberührbaren. Das Schwarz ist für mich gleichzeitig aber auch ein Assoziationsraum, ein Ort der Sammlung, der Stille und Kontemplation – die Einladung ganz in ein Bild einzutauchen.

Marc Peschke: Die abstrakten Expressionisten verehrten das Schwarz …

Peter Schlör: Ich auch! Im Schwarz ist alles! Die Potentialität aller Dinge! Die Finsternis der Genesis ist der älteste Archetyp und gleichzeitig das stärkste Abstraktum! Der Anfang von allem liegt in dieser Dunkelheit. Weiß dagegen hat etwas Abweisendes und steht aus meiner Sicht eher für Leere. In asiatischen Kulturen ist übrigens Weiß die Farbe der Trauer.

Marc Peschke: Was bedeutet Ihnen die Strenge der Komposition? Stets ist ihr Werk streng, beinahe hart komponiert.

Peter Schlör: Ich suche die größtmögliche Dichte. Eine Komposition, die das Wesentliche zeigt und dem Bildinhalt dient. Beim >Weglassen< hilft mit vor allem das Licht beziehungsweise die Abwesenheit von Licht – der Schatten, den ich gerne überinterpretiere. Das ist immer eine Gratwanderung: Wie wähle ich den Ausschnitt? Wie stark hebe ich die Kontraste an? Da gehe ich immer an die Grenze – bis nur noch die Essenz übrig bleibt.

Marc Peschke: Warum gibt es keine Menschen in Ihren Bildern?

Peter Schlör: Einsamkeit, Isolation, Ohnmacht, Hermetik – das sind meine Themen. Als Vierjähriger wäre ich fast an einer zu spät erkannten Lungenentzündung gestorben. Die Erfahrung von schwerer Krankheit, Quarantäne und Todesnähe haben mein Leben danach stark geprägt. Der Drang zur Verarbeitung dieser Erfahrungen ist ganz sicher auch der Motor meiner künstlerischen Arbeit! Deshalb finden sich Menschen wenn überhaupt nur anonym und isoliert oder in Form von Schatten in meinen Bildern. Aber es gibt auch ganz nüchterne Gründe: wären Menschen in meinen Landschaften, dann würden Sie sich als Betrachter fragen, in welcher Beziehung dieser Mensch mit der Landschaft steht. Ich möchte aber, dass Sie selbst als Betrachter mit meiner Landschaft in Beziehung treten. Im Übrigen finden sich oft Spuren von Menschen in den Bildern, die vielleicht manchmal mehr über diese Menschen sagen ohne dass sie dabei selbst in Erscheinung treten. Wichtig ist mir die universelle Kraft einer Arbeit. Ich finde, das gelingt ohne die Abbildung von Menschen besser.

Marc Peschke: Sie haben in den vergangenen Jahren verschiedene Kunst-am-Bau-Projekte am Max Planck Institut für Kernphysik in Heidelberg realisiert. Wie frei sind Sie bei solchen Projekten? Welche Schwierigkeiten sind damit verbunden?

Peter Schlör: Sehr frei was die Gestaltung betrifft! Die Herausforderungen lagen eher in der technischen Umsetzung. Zum Beispiel galt es, ein 42 Meter langes Landschaftspanorama per Digitaldruck deckend hinter Glasscheiben zu drucken und dann in eine moderne Fassade zu integrieren. Die Fassade selbst wurde damit zum Träger eines Landschaftsbildes innerhalb einer Landschaft – kein leichtes Unterfangen!

Marc Peschke: Was mich an vielen aktuellen Fotoserien so langweilt: Es bleiben keine Fragen offen. Der sezierende, dokumentarische Blick ist immer noch sehr präsent. Ihre Arbeit ist ganz anders. Wie kamen Sie zu dieser anderen Sichtweise auf die Dinge?

Peter Schlör: Ich denke, es ist auch hier das intuitive Vorgehen wie eingangs beschrieben: Ich vertraue da ganz meinem Gefühl. Mache Bild für Bild, auch wenn ich noch gar nicht weiß, wo die Reise überhaupt hingeht. Die Ergebnisse sind auch für mich erstaunlich, spannend und rätselhaft. Im Übrigen ist für mich eine Arbeit, die kein Geheimnis in sich bewahrt ein absolutes K.O.-Kriterium, Ausschuss also, denn nichts ist langweiliger als eine Arbeit an der Wand, die mich nicht stets aufs Neue befragt und umgekehrt!

Marc Peschke: In ihren neuesten Bildern zeigen sie überwältigende Landschaften von unermesslicher Größe. Sie folgen damit einer kunsthistorischen Spur, die von Caspar David Friedrich oder Turner bis hin zu Mark Rothko und Yves Klein führt – aber auch einer philosophischen Tradition von Longinus über Edmund Burke bis zu Immanuel Kant. Was fasziniert Sie an diesen erhabenen Landschaften?

Peter Schlör: Der Mensch ist der physikalische Ort, an dem die Welt über sich nachdenkt. Ich finde, in einer erhabenen Landschaft lässt sich das besonders gut tun. Wobei das Denken dort eher ein selbstvergessenes, schweigendes Staunen ist. Wenn ich dann noch eine Kamera dabei habe und das Licht stimmt, dann ist das ein Glücksmoment. Im Idealfall generiert dieser Augenblick ein Bild, dem ich dann als Betrachter ebenfalls wieder gegenüber stehe. Dabei erfahre ich etwas über mich selbst, das sonst nie zum Vorschein gekommen wäre – ein Transformationsprozess im Dialog mit der Natur. Das ist natürlich das Prinzip der Romantik.

Marc Peschke: Lassen Sie uns ein wenig über die Kunst anderer Fotografen sprechen. Wen bewundern Sie? Robert Häusser könnte ein Geistesverwandter sein – er stammt auch aus Mannheim …

Peter Schlör: Für einzelne seiner frühen Bilder trifft das sicherlich zu – überhaupt war Häusser für mich der erste Bezugspunkt zur Schwarz-Weiß-Fotografie. Durch ihn habe ich gelernt, dass Fotografie das Innere nach Außen bringen kann und Häusser hat mir Mut gemacht, weiter zu machen – ohne die zu erwartenden Strapazen zu beschönigen. Unter den aktuellen Tendenzen finde ich Sugimoto herausragend – insbesondere seine Serien mit den Filmtheatern und die Meerblicke. Anregungen für meine eigene Arbeit beziehe ich allerdings eher außerhalb der Fotografie. Die Arbeiten von Anish Kapoor finde ich einfach großartig – vor seinem Schwarz kann ich nur kapitulieren!

Marc Peschke: Die letzte Station der Ausstellungsreise von >DEEP BLACK< ist der Mannheimer Kunstverein. Gibt es Besonderheiten der dortigen Präsentation?

Peter Schlör: Mein Werk entsteht nicht chronologisch – vielmehr entstehen verschiedene Werkreihen parallel zueinander, die aber auch ineinander greifen und sich aufeinander beziehen. Eine Ausstellung zu bauen, besonders in der Dimension wie jetzt im Kunstverein, ist für mich stets eine Gelegenheit, mir meiner eigenen Arbeit gewahr zu werden. Oft erkenne ich inhaltliche und formale Bezüge erst beim Bauen der Ausstellungen. Deshalb gleicht auch keine Ausstellung der Tournee der anderen. Im Mannheimer Kunstverein werde ich meine neue Serie >open sky close up< in Bezug zu früheren Arbeiten setzen. Übrigens werden auch einige meiner helleren Arbeiten zu sehen sein, die im langen Winter von 2006 im Schwetzinger Schlosspark entstanden sind. Lassen Sie sich überraschen – ich selbst bin auch sehr gespannt!

Mannheim/Wiesbaden im November 2009 für KUNSTTERMINE

Auszug aus KUNSTTERMINE 4.2009 (PDF)

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